Sexworkers

Verklemmte Mitleidssuppe: Eine Kritik von Tina Leisch anlässlich der Verleihung des österreichischen Filmpreises für Dokumentarfilm an Michael Glawoggers "Whores' Glory"

Das Wort ‚Hure’ rufen verlassene Ehemänner der Ex nach. Pubertierende Burschen bezeichnen damit alles Weibliche, das ihnen nicht geheuer ist und zornige Väter die Tochter wenn sie nicht pariert. ‚Hure’ ist ein Wort, das hauptsächlich benützt wird, um Menschen zu beschimpfen, die mit Prostitution gar nichts zu tun haben. Sprechen Menschen, die vom Verkauf sexueller Dienstleistungen leben, von sich selber, nennen sie sich meist SexarbeiterInnen, wenn es z.B. darum geht, die Gleichstellung ihrer Arbeit in arbeitsrechtlichem Sinne zu erwirken. In Werbeanzeigen preisen sie sich auch als Freudenmädchen, Liebeselfen, LiebeskünsterInnen, Escortladies, immergeile Busenwunder oder Französischexpertinnen an.

Wenn also ein Dokumentarfilm eines männlichen österreichischen Regisseurs über Sexarbeiterinnen in Thailand, Bangladesh und Mexiko „Whores’ glory“ heißt, dann sagt schon der Titel, dass dieser Mann die elementarsten Höflichkeitsregeln im Umgang mit diskriminierten Minderheiten nicht kennt oder nicht respektieren will. (Dass nämlich zwar die Diskriminierten selber natürlich diskriminierende Bezeichnungen affirmativ oder ironisch verwenden können, aber Angehörige der diskriminierenden Mehrheit das tunlichst zu unterlassen haben. )

Unhöflichkeit und Respektlosigkeit, die fast jeden Moment des Filmes durchdringt. In opulenten Bildern werden Sexarbeiterinnen abgefilmt. Die Kamera glitscht über die Körper und Gesichter als wäre ihr ein bisschen zuviel Gleitgel in den Stativkopf geraten. Ab und zu verweilt sie, um eine Sensation einzufangen: Wenn ein Mädchen an eine Zuhälterin verkauft wird, und wir sind live dabei! Wenn Hunde vorm Bordell kopulieren. Wenn eine offensichtlich psychisch kranke alte Frau sich auszieht und die Kamera hält drauf und drauf und drauf. Wenn eine Cracksüchtige für die nächste Portion Gift ihr nacktes Geschlecht der Kamera präsentiert und der Kameramann glotzt, als sähe er so etwas zum ersten Mal. So sehr ihnen die Kamera auch zudringlich zu nah auf die Haut rückt: Den Frauen, die dafür bezahlt wurden, dass sie sich als SexarbeiterInnen, Zuhälterinnen, Frauenhändlerinnen abfilmen lassen, kommen der Film dadurch nicht näher. Den gesellschaftlichen Verhältnissen, die dafür sorgen, dass anderen Lust zu bereiten ein verfemter, verachteter Beruf ist, noch viel weniger.

Zahnärztinnen, Physiotherapeuten, DienstleisterInnen, deren Beruf es ist, körperliches Wohlergehen zu verschaffen, genießen üblicherweise hohes Ansehen. Nur ausgerechnet die SexarbeiterInnen, die doch außerordentlich große Freude zu bereiten verstehen, werden verachtet. An diesem Rotlicht-Paradoxon wird die Infamie patriarchaler Dominanz sichtbar, die jahrtausendelang durchzusetzen versuchte, dass die Körper der Frauen den Männern gehören und zu gehorchen haben, dass von Männern regierte gesellschaftliche Institutionen über die Lust, die Reproduktionsfähigkeit, das Aussehen und die Arbeitskraft der Frauen verfügen. Mithilfe von Weltreligionen, die die dafür notwendigen menschenverachtenden Regeln und Gesetze als von einem allmächtigen, strafenden Gott gegeben erklären. Mithilfe einer gesellschaftlichen Moral, die all die Frauen ächtete, verfemte, als Hexen verbrannte, steinigte und steinigt, als Abtreiberinnen einsperrt, die sich anmaßen, das Spiel der Körper und der Lüste nach eigenem Gusto zu spielen.

Das Dilemma dabei: Die zur ‚Anständigkeit’ disziplinierten Frauen begehren nicht mehr. Es braucht also für die Lust zuständige Ausnahmefrauen, die aber gleichzeitig dermaßen der Demütigung und Verachtung ausgesetzt werden müssen, dass ihre Existenz kein attraktiver Lebensentwurf ist. Daher die Dichotomie von Heiliger und Hure. Daher das stereotype Verhalten von Freiern: Sie müssen diejenigen verachten, die ihnen Lust bereiten. Die bequemste Art diesen Widerspruch loszuwerden, ist Dankbarkeit und Verachtung zusammenzukochen zu einem bisserl Mitleid für die arme Hur’. Oder man romantisiert die Rotlichtwelt zur antibürgerlichen Gegenwelt. (1)

Michael Glawogger dämmert leider nicht eine Sekunde - von mühsamen 118 Minuten-, dass er selber als Filmemacher nur die stereotypen Haltungen der Kunden gegenüber den Huren abschreitet: Romantisierung, Mitleid, Verachtung. Von Selbstreflexion der Erzählhaltung so wenig eine Spur wie von einem Versuch, sachliche Fragen zu den Details des Handwerkes zu stellen oder die gesellschaftlichen Zusammenhänge des oftmals sauschlecht inszenierten Elends zu erkennen.

Ohne jegliches Interesse an den Ursachen des niederen sozialen Status der SexarbeiterInnen, weidet er sich an entwürdigenden Situationen, geilt sich auf an verletztem Schamgefühl und inszeniert die Frauen als Opfer. Dass das doch relativ reibungslos funktioniert, liegt auch an der Auswahl der Drehorte. In Wien hätten ihm vermutlich selbstbewusste Sexarbeiterinnen deutlich zu verstehen gegeben, was von dieser klischeehaften und reaktionären Inszenierung zu halten sei. Wenn sich überhaupt Frauen dafür hergegeben hätten, für ein dermaßen jämmerliches Bild ihrer selbst zu posieren. Doch Glawogger hat seine Fördergeld in die Dritte Welt getragen: Wo der Mindestlohn 35 Euro im Monat beträgt, und man für 1 Dollar ficken kann, kann man für 100 auch einen Fick vor der Kamera kaufen. Die Aneinanderreihung dreier exotischer Schauplätze kompensiert die dumpfe Gedankenlosigkeit des Filmes durch die bunte Vielfalt der Welt im Reisebürokatalog für Sextouristen.

Dabei gibt es ja in Thailand und in Mexiko und in Österreich SexarbeiterInnenselbstorganisationen, bei denen Glawogger sich die Grundzüge einer fortschrittlichen, emanzipatorischen Perspektive auf Sexarbeit hätte erklären lassen können. Nämlich, dass Sexarbeiterinnen kein Mitleid brauchen, sondern gesellschaftliche und gesetzliche Anerkennung ihrer Arbeit. Recht auf freie Berufsausübung wie jede/r andre Dienstleistende auch. Streichung der Sittenwidrigkeit. Aufhebung der Verbotszonen. Schutz gegen Gewalt. Dass sie sich Kunden wünschen, die genießen und ihren Genuß zu würdigen wissen. Die wie vereinbart zahlen. Kunden, die nicht ihre eigene Sexualfeindlichkeit als Mitleid oder Verachtung auf die SexarbeiterInnen projizieren. Dass es um die Würdigung eines vielfältigen und anspruchsvollen Berufes ginge, der an der Grenze zur Sozialarbeit, zur Psychotherapie, zu medizinischen Berufen einerseits, zur Schauspielerei und Performance andererseits wichtige gesellschaftliche Aufgaben erfüllt. Dass Sexarbeit unter guten Rahmenbedingungen ein geiler, erfüllender, toller Beruf sein kann, und es deshalb einem engagierten Film darum gehen müsste, die ökonomischen, sozialen und juristischen Rahmenbedingungen in den jeweiligen Arbeitszusammenhängen so genau zu betrachten, dass man drauf kommt, was es jeweils ist, das die Arbeit erschwert und diskriminiert.

Die Sexworkers (www.sexworker.at) und Lefö (www.lefoe.at) äußerten nach Rohschnittscreenings heftige Kritik: Die Frauen seien nur als Opfer dargestellt, es gäbe keine Momente, die Selbstbestimmung und Entscheidungsbefugnisse der Sexarbeiterinnen sichtbar machten. Die Auswahl der Drehorte befördere neokoloniale Attitüden. Der Film mache Stimmung für abolutionistische Positionen, die am liebsten Sexarbeit ganz verbieten würden, statt für mehr Rechte für die SexarbeiterInnen einzutreten.
Das Nichteinverständnis der NGO’s der Betroffenen hätte wohl jede österreichische Dokumentarfilmerin sofort zum Anlaß genommen hätte, ihre Arbeit grundsätzlich zu überdenken. Glawogger wischt es vom Tisch. Die beiden einschlägigen ExpertInnenorganisationen lehnten es daraufhin ab, beim Kinostart eines solchen Filmes auch nur als Diskussionspartner aufzutreten.


Whores’s glory ist also ein Film, über den es sich nicht lohnte auch nur ein Wort zu verlieren, wäre er nicht so erfolgreich. Beim österreichischen Filmpreis, der am 27.Jänner vergeben wurde, gewann er den Preis für den besten Dokumentarfilm und für die beste Kamera. Das ist tatsächlich unerhört: Ein Filmpreis für Glawoggers verklemmte Mitleidssuppe? So armselig sind die politischen, moralischen und intellektuellen Ansprüche der Akademiemitglieder an einen guten Dokumentarfilm!

Es gab in den letzten Jahren einige interessante filmische Versuche, sich intelligent dem Themenkomplex anzunähern. Sisi Klocker erklärt uns mit dem brüllend komischen Kurzdokumentarfilm ‚Laura. Alles, was Sie immer schon über Telefonsex wissen wollten’ die Dramaturgie einer erfolgreichen erotischen Phantasie.
Ihr Film ‚Ausstieg“ portraitiert eine ehemalige Sexarbeiterin, die sehr offen und präzise über die Höhen und Tiefen, die Wüsten und die Oasen ihres Berufes erzählt. Hätte Sisi Klocker darauf verzichtet, selber etwas albern und selbstverliebt ins Bild zu treten, wäre das ein rundherum wunderbarer Film.

Anja Salomonowitz’ Film ‚Kurz davor ist es passiert’ über Frauenhandel führt vor, wie man gesellschaftliche Zusammenhänge anklagen kann, ohne dafür die Opfer filmisch ein zweites Mal zu viktimisieren.

Und vor allem Sabine Derflingers Spielfilm ‚Tag und Nacht’, produziert von Nina Kusturica und Eva Testor, liefert ein intelligentes Beispiel dafür, wie eine von Frauen recherchierte, geschriebenene, inszenierte und produzierte Auseinandersetzung mit dem Thema aussehen kann. Der Film folgt zwei Studentinnen ins Abenteuer Escortservice. Weder romantisierend noch verklärend, erfährt man von Untiefen und Risiken des Berufes aus der Sicht der Sexarbeiterinnen und kann dabei einen ausführlichen Blick auf verschiedene Sorten von Kunden werfen. Obwohl „Tag und Nacht“ von Kritik und Publikum begeistert aufgenommen wurde, verkaufte er sich nicht rasend. „Der Weltvertrieb gestand uns irgendwann: ‚Naked men don’t sell.’“ sagt Produzentin Nina Kusturica. Das ist Glawogger marktgängiger:
Nackte Frauen verkaufen sich immer, wie dumm der Film drumherum auch sein mag.
Noch ist das so. Könnte sich ja auch ändern.

Anmerkung:
Zwar haben sich 87 Jahre nach dem Wiener Sexualbefreier Hugo Bettauer und 43 Jahre nach den ersten Dr. Sommertipps in der BRAVO vielfältigere und selbstbestimmtere Formen von Geschlechtsrollen und Machtverteilungen zwischen den Geschlechtern entwickelt, aber die Verachtung der SexarbeiterInnen besteht fast unverändert weiter. Wenngleich sich die Begründungen für die Verachtung säkularisiert haben: Linke verachten die Käuflichkeit der Liebe mit antikapitalistischen Argumenten: Wenigstens Lust und Liebe sollen von der kapitalistischen Ökonomie unberührt bleiben. Feministinnen verachten wegen der besonders schlimmen Frauenausbeutung, die angeblich da stattfindet. Wenn man ein bisschen an den Argumenten kratzt, kommt meist eine unreflektierte und schlecht camouflierte Positionierung auf der Seite der Moral Majority hervor. 

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"Ich setze voraus, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen." Michel Foucault