Tarzan im Hilfsdschungel

[Tina Leischs Kritik von ENJOY POVERTY, Renzo Martens, Niederlande/Kongo 2008, 90min.]

Ein blonder Mann spaziert durch die Wildnis, afrikanische Träger schleppen für ihn drei schwere Kisten durch Wasser und Sumpf, während der Blonde seinen eigenen elegischen Blick filmt, „A man needs a maid“ von Neil Young trällernd.

Wäre es ein Hollywoodfilm, würde die Anwesenheit des Blonden nicht verwundern: ohne mindestens Brad Pitt  und Cate Blanchett im Vordergrund, dreht nicht einmal Alejandro González Iñárritu  eine Afrikastory. Aber Renzo Martens ist holländischer Künstler, sein mit Wackelhandkamera und verschmutztem Objektiv gedrehter Film „Enjoy poverty“ in erster Linie ein Produkt für Galeristen und Ausstellungspublikum, also für Leute, von denen man annehmen sollte, dass sie vielleicht doch „Postkolonialismus“ buchstabieren können sollten.


Wenn Martens also seine Locken kokett in die Kamera schüttelt, muß das noch einen andren Grund haben, als nur im Kontrast zur eigenen Lichtgestalt die afrikanischen Protagonisten eher düster aussehen zu lassen: Mit den Schwenks auf sich selbst erweitert er den Bildraum hin auf die Produktionsbedingungen von Afrikabildern. Wenn er sich beim Filmen filmt,  führt er die Jagd auf Bilder von „vergewaltigten Frauen, unterernährten Kindern und Kadavern“ vor, die all die Agentur-, Presse- und Kunstfotographen um ihn herum ebenso betreiben. Hier muss man die Fliegen, die um den Erschossenen kreisen wie die Photographen, malerisch ins Bild setzen, da den verzweifelten Blick der Kriegswitwe mit Waisenkind am Arm aus dem richtigen Winkel erwischen, dort Hemden und Röcke lüften um Ekzeme und Ödeme auf verhungerten Kinderhintern prägnant ins Bild zu setzen.
„Wir sind nur an negativen Geschichten interessiert. Es muss ein Desaster sein, eine humanitäre Krise, Tote. Eine hübsche Parade, oder Karneval, so etwas interessiert uns nicht. Sorry. Das bin nicht ich, das ist Angebot und Nachfrage.“ sagt ein Fernsehjournalist, der für 1 1/2 Minuten Katastrophe mit Nachrichtenwert 300 Dollar bietet. „Das ist der Markt.“

Wenn Armut also eine Ressource ist, die eine lukrative Hilfsindustrie begründet, wenn das Elend im Kongo 1,8 Milliarden Dollar im Jahr an Hilfszahlungen fließen lässt, von denen ein beträchtlicher Teil wieder an die Geberländer zurückfließt, wieso dürfen dann die Afrikaner nicht selber auch ein wenig ihrer Armut vermarkten? - fragt sich Martens und
schnappt sich zwei einheimische Hochzeitsphotographen und rechnet ihnen auf der Schultafel aus, wie viel sie verdienen würden, wenn sie statt 20 Geburtstagsfotos im Monat zwanzig Bilder von „vergewaltigten Frauen, unterernährten Kindern und Kadavern“ verkauften:
das tausendfache nämlich.
„Ihr dürft nicht einfach der Tradition folgen und fischen, weil eure Ahnen gefischt haben, ihr müsst eine rationale Wahl treffen!“ doziert Martens im Besserwissertonfall der Besserweißen.  „Aber selbst wenn wir ‚vergewaltigte Frauen, unterernährten Kinder und Kadaver’ photographieren, werden wir damit nichts verdienen. Wer kauft unsere Photos? Wir haben keinen Zugang zum Markt.“ antwortet ihm der Hochzeitsphotograph. Martens tut so, als hätte er das nicht gehört und schleppt die kongolesischen Photographen von voyeuristischem Shooting zu voyeuristischem Shooting, nur um sie anschließend enttäuscht wieder zu entlassen: sie hatten recht: für afrikanische Photographen gibt es keine Presseausweise, keine Photographiergenehmigungen und also auch nicht 50 Dollars pro Bild. Sie haben keinen Zugang zum Markt.

Spätestens hier fragt man sich: Aber warum verschafft Martens ihnen denn dann keinen? Warum unternimmt er nicht einmal einen bescheidenen Versuch, eine Pressefotoagentur zu gründen, die Fotos kongolesischer Photographen auf dem Weltmarkt anböte? So schwer wäre das doch nicht. Ein paar Digitalkameras, einen Laptop mit Internetzugang, eine gute Website und ein bisschen Promotion und vielleicht einen Pressephotoworkshop für die Hochzeitsphotographen?

Aber es darf ja gar nicht klappen: eine Aussicht auf Befreiung aus der Armut darf es aus Gründen der Dramaturgie nicht geben, sonst würde ja der Schmäh mit den durch den Regenwald geschleppten Kisten keinen Sinn mehr machen. Sie enthalten nämlich nicht etwa
Medikamente, Schulbücher, Dosensardinen, Operationsbesteck, Laptops oder Digitalkameras, sondern blaue Neonbuchstaben und einen Generator.
Nachdem Martens einem Tagelöhner auf einer Palmölplantage, ausgerechnet hat, dass er, wenn er nach zehn Jahren ununterbrochener Arbeit mit seinem Lohn weder ordentliche Schuhe noch je genug zu essen für seine Familie kaufen konnte, sich das auch in den nächsten zehn Jahren nicht ändern wird, schmeißt er den Generator an und in strahlendem Neonblau erhellen die Leuchtbuchstaben das Dorf:  „Enjoy please Poverty“

Diese zynische Verhöhnung der Armen ist der Höhepunkt von Martens Selbstportrait als hübscher Blondyboy mit fiesen Kolonialherrnattitüden, der seine Kistenträgern ohne Bitte und Danke herumkommandiert, auf höfliche Fragen nach seiner Herkunft nur mit einem pampigen „Ich komme von dort und gehe nach da“ antwortet, der auf die Frage der von ihm Gefilmten, ob sie den Film denn auch einmal zu sehen bekämen, barsch antwortet: „Nein, das ist nur für Europa.“ Und auf die Frage. „Sind Sie auch so einer, der zum Plündern, Stehlen und Vergewaltigen gekommen ist?“ antwortet er mit einem oberlehrerhaften „No, I teach them how to deal with live“.


Doch leider bleibt die vermutlich selbstkritisch-parodistische gemeinte Selbstdarstellung als ewiger Widergänger der Missionare, Zivilisatoren und Kolonialherren ein müder Klamauk, die Überaffirmation  der Besserweißheit wird nicht zum Ausgangspunkt einer Revision der europäisch-afrikanischen Blickregimes, weil Renzo Martens nicht nur als Darsteller, sondern auch als Regisseur und Filmemacher in der Position des Kolonialherrn bleibt und kein Auge hat für das, was die Kolonisierten sehen, und kein Interesse dafür, was sie denken. Er diskutiert, debattiert, palavert, philosophiert nicht mit den Eingeborenen. Er holt sich von ihnen bestenfalls  Informationsbrocken um sie in sein präfabriziertes Caritas-Bild von Afrika an vorgesehener Stelle einzusetzen.


So ist das Hauptmotiv des Filmes der  Kontrast: „ schwarzer Trottel  vs kluger Martens“ (der nämlich so ungeheuer klug ist, dass er in der Lage ist seine Subjektposition zu reflektieren, wozu die Einheimischen natürlich nicht in der Lage sind), mit dem nichts andres als die uralten kolonialen Stereotype bebildert werden: zivilisiert/primitiv, fortschrittlich/rückschrittlich, rational/irrational, denkend/vegetierend. Daneben verblasst der Nebenstrang der Handlung: „edler Martens vs dumme und korrupte NGOs“, dem es aber immerhin gelingt, ohne ein einziges belegtes Faktum Ärzte Ohne Grenzen und den UNHCR als ganz miese Armutsprofiteure dastehen zu lassen.

Was zunächst also so aussieht, als würde Renzo Martens den Besserweißen spielen, damit sich an seiner Figur die Strukturen westlicher Dominanz kristallisieren und erkennbar werden, entpuppt sich nach und nach als ein mit schicker Geschmacksgrenzenüberschreitung verbrämtes Rassismus-Update zur Zementierung weißer intellektueller Dominanz.
Warum aber geht so ein Film, dessen wesentlichster  Effekt die Etablierung des Filmemachers im Kunstkontext sein wird, als kritischer Beitrag zur Weltverbesserung durch?

Ich vermute: Martens wird in Europa gehypt, genau, weil er sich traut, in einer vermutlich als sophisticated rezipierten zynischen Wendung einmal mehr die Geschichte vom weißen Helden im gefährlichen Urwald zu erzählen, die die anti- und postkolonialen Theorien versuchen uns madig zu machen, den heroischen Abenteuerroman vom weißen Macher, Tschecker, Weltbeherrscher, der mutig und besessen im Namen der Zivilisation die abgedrehtesten Dinge unter schwierigsten Bedingungen hinkriegt, während die Eingeborenen einerseits dumm, primitiv, unfähig,  zu nichts in der Lage sind, als subalterne Hilfsjobs zu machen, andererseits aber dankbar für des weißen Helden edle Bemühungen sich ihres Elends anzunehmen.

Gerade weil Martens, mit der ENJOYPOVERTY-Leuchtschrift auf  ein Boot montiert, als ein letzter Enkel Tarzans, Aguirres oder Fitzcarraldos, durch den Dschungel fährt, findet wohl ein Teil des europäischen Juste-milieus ihn so cool. Weil er unter dem Deckmantel der Kritik und der ironischen Brechung den Europäern noch einmal voll fett ihre haushohe Überlegenheit genießbar macht, während sie sich gleichzeitig einreden können, Mitleid, Entsetzen oder Empörung über die elendiglichen Zustände in Afrika zu empfinden. Weil er uns in wohlige Betroffenheit lullt und gleichzeitig deklariert, dass Helfen eh nichts nützt.

Von heute aus betrachtet scheint es unglaublich, dass Werner Herzog in Peru noch 1982 hunderte von Indigenas der Asháninca für seine Kolonialherrenschmonzette „Fitzcarraldo“ missbrauchen konnte, unglaublich, dass der Protest dagegen, dass die Statisten die dargestellten Ausbeutungsverhältnisse und Erniedrigungen auch tatsächlich während der Dreharbeiten zu erdulden hatten, damals als linksextremes Querulantentum abgetan werden konnte. Seit der kontinentalen Kampagne gegen die Feiern der Konquista 1992, seit Rigoberta Menchu, dem Aufstand der EZLN und dem Sieg von Evo Morales, ist das jedenfalls in Lateinamerika nicht mehr vorstellbar.

Warum aber funktioniert ein ähnliches Setting noch heute im Kongo? Warum haut niemand die frechen Leuchtbuchstaben zusammen, nimmt Martens beim weißen Kragen und erklärt ihm ganz einfach, was man inzwischen sogar schon im Antropologieproseminar an der Uni Wien lernt: dass ein antikolonialer Afrikafilm nur zustande kommen kann, wenn auch AfrikanerInnen an seiner Entstehung gleichberechtig mitwirken, wenn die Kamera einer Sicht auf die Welt ins Bild helfen darf, die Afrika und die AfrikanerInnen nicht am Masstab westlich-kapitalistischer Kriterien von Entwicklung und Fortschritt misst?

Ist der Kongo tatsächlich dermassen am Arsch, dass man sich sogar noch einen Martens gefallen lässt? War die westliche Zerschlagung und Vernichtung aller emanzipatorischen Bestrebungen der Generation Lumumbas, Nkrumah und Sankarras so nachhaltig, dass dort kein antiimperialistisches Lüfterl mehr zu wehen vermag?
Und wenn ja, warum gelang das so nachhaltig?

Wer das wissen möchte, muss warten auf die nächsten Filme von Abderrahmane Sissako und Jean Marie Teno.

Tina Leisch, Film-,Text- und Theaterarbeiterin in Wien.

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"Ich setze voraus, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen." Michel Foucault